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Weihnachten bei J. S. Bach

Die Versöhnung der Gegensätze im Weihnachtsoratorium


Letztlich auszuloten ist das Weihnachtsoratorium nicht, das Bach zu den Feiertagen der Jahreswende 1734/35 in Leipzig erstmals zum Erklingen brachte. Dem Thomaskantor gelingt eine musikalisch-theologische Einheit, die bis heute fasziniert, gerade weil sie immer neue Deutungen ermöglicht, theoretisch wie auch in jeder Aufführung. Die ersten drei Teile sind komponiert für den Ersten, Zweiten und Dritten Weihnachtstag. Jeder dieser Teile geht einer weihnachtlichen Polarität nach, die auf den ersten Blick wie ein Gegensatz aussieht, sich dann aber in Wort und Ton als geheimnisvolle Einheit erweist.

Im ersten Teil geht es um das Krippenkind selbst: Ist es ein „großer Herr und starker König“ (Bass-Arie) oder ein armes Kind in einem Futtertrog: „Er ist auf Erden kommen arm“ (Choral)? Bach bringt beide Momente zur Geltung, um dann im Schlusschoral die Gegensätze miteinander zu versöhnen. Zu den Worten „Ach mein herzliebes Jesulein“ erklingen majestätische Einwürfe der Trompeten und Pauken, mit denen Bach die Worte aus Martin Luthers „Kinderlied auf die Weihnacht“ höchst eigenständig und im Sinne des königlichen Aspekts kommentiert.

Im zweiten Teil, der mit der berühmten „Sinfonia“ beginnt, geht es um den Zusammenklang von Engelsmusik und Hirtenmusik. Die „Sinfonia“ nimmt diese Botschaft wortlos vorweg, indem die Streicher (Engelsmusik) den Bläsern (Hirten) tänzerisch-freudige Motive vorspielen, worauf die Hirten einstimmen. Im Schlusschoral sind dann alle mit dabei: Engel, Hirten und „Wir“, weil die biblische Weihnachtsbotschaft nicht in der Vergangenheit bleiben soll, sondern ihr Echo hier und heute finden will.

Der dritte Teil widmet sich der Polarität „Gott-Mensch“, die in Jesus Christus („wahrer Gott und wahrer Mensch“) vollendet ist. Im Liebesduett mit zwei Oben d’amore „Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen“ zwischen der Stimme Christi (Bass) und der Stimme des Glaubens (Sopran) wird die mystisch-liebende Begegnung zwischen Mensch und Gott musikalisch inszeniert.

Was gelingt Bach in seiner Weihnachtsmusik? Eine musikalische Zeichnung des Menschwerdung, die ganz in der Tradition der Barockmusik steht und ihre Hörer erfreuen, belehren und bewegen will. Zugleich gelingt ihm ein Werk, das über die Zeiten hinweg lebendig bleibt, wenn die Hörer sich dreifach anregen lassen: emotional, rational und religiös.


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