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Telemann „Donner-Ode“ und Händel „Magnificat“
Psalmton und Erdbeben
Händels „Dixit Dominus“ und Telemanns „Donnerode“




Das Barock-Projekt dieses Wintersemesters, das mit drei Bachkantaten beim Meisterkurs von Ton Koopman begonnen hat, um sich dann Bachs Weihnachtsoratorium im Werkstatt-, Mitsing- und Mitspielkonzert zuzuwenden, schließt mit geistlichen Werken von Georg Philipp Telemann (1681–1767) und Georg Friedrich Händel (1685–1759): ein für einen katholischen Gottesdienst in Rom komponiertes Frühwerk Händels und ein Spätwerk Telemanns, entstanden im protestantischen Hamburg. Zur räumlichen Süd-Nord-Distanz kommt eine zeitliche, die fast ein halbes Jahrhundert beträgt. Was beide Werke zugleich miteinander verbindet, sind die jeweils aus den Psalmen stammenden Worte sowie deren affekt- und effektvolle Auslegung mit allen vokalen und instrumentalen Mitteln der Barockmusik.
Ohne die alttestamentlichen Psalmen wäre die Musikgeschichte – von der jüdischen Synagogalmusik und der christlichen Gregorianik über die motettischen und konzertanten Stile bis zur Orgelmusik und Improvisation – um etliche Kapitel kürzer. In ihrem überaus weiten Spektrum des Lobens und Klagens werden die 150 Psalmen der Hebräischen Bibel – ursprünglich und bis heute das jüdische Lebensbuch, Glaubensbuch und Liederbuch – zu erstrangigen Quellen der poetischen, liturgischen und musikalischen Inspiration. Welche Resonanz sie jeweils, mitbedingt durch die Erfahrungen der Komponisten oder durch kollektive Ereignisse – wie das verheerende und die Zeitgenossen verstörende Erdbeben von Lissabon 1755 – finden können, wird zu bedenken sein. Das Gebet „Dixit Dominus“ (Psalm 110) – „So sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten …“ – wurde besonders häufig vertont, weil dieser Psalm zum sonn- und festtäglichen Vespergottesdienst gehört. Händel wählt für sein umfangreiches Werk den lateinischen Wortlaut, wie er für die katholische Liturgie verbindlich war. Vermutlich hat er die Komposition schon 1706 in Venedig begonnen und dann 1707 in Rom vollendet. Auch wird über verschiedene Einzelfragen diskutiert: Für welchen Festtag entstand das Werk? Welche römischen Kirchen kommen als Ort der Uraufführung in Frage? Und welche musikliebenden Kardinäle wie Pietro Ottoboni könnten Händels Auftraggeber gewesen sein? Leider erlauben die Quellen hierzu kaum mehr als Vermutungen.
Über das erste Werk des heutigen Konzerts lässt sich mehr in Erfahrung bringen. Telemann hat die „Donnernde Ode“ – so die zu Lebzeiten des Komponisten meistens anzutreffende Schreibweise – nach einer Schaffenskrise im Jahr 1756 als 75jähriger Hamburger „Director Musices“ komponiert. Ein Spätwerk also, dessen erster Teil, die eigentliche „Donnerode“, in der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen am 10. Oktober 1756, dem 17. Sonntag nach Trinitatis, erstmals erklungen ist. Zugrunde liegt die poetische Übersetzung von Versen aus Psalm 8 „Wie ist dein Name so groß“ und Psalm 29 „Bringt her, ihr Helden, aus göttlichem Samen“. Der von Telemann später hinzugefügte zweite Teil geht über Psalm 45 „Mein Herz ist voll, vom Geiste Gottes erhoben“ und erklang erstmals am Neujahrstag 1760.
Jeder Teil der „Donnerode“ ist separat aufführbar. Aufführungspraktisch naheliegend ist aber auch die Gesamtaufführung beider Teile, so wie im heutigen Konzert. Was wir dabei hören, hielt bereits Telemanns Enkel Georg Michael für autorisiert: „Der großen Ähnlichkeit wegen“ mit der Donnerode habe „der selige Telemann diese Music zum 2ten Teil der Donnerode zu machen für gut befunden.“
Die Unterschiede zwischen den beiden Werken sind deutlich: ein lateinisch-katholisches Frühwerk Händels, das zur Vesperliturgie gehört, bald in Vergessenheit geriet und erst im 20. Jahrhundert neu entdeckt wurde; ein zweiteiliges Spätwerk Telemanns in deutscher Sprache, das nach dem erstem gottesdienstlichen Erklingen bald auch konzertant erfolgreich war, so dass diesem Opus rasch große überregionale Popularität zuteil wurde. Aber es gibt – auf den zweiten Blick – auch Gemeinsamkeiten: in beiden Werken geht es um Naturgewalten, um die schöpferische und zerstörerische Macht des Göttlichen, um Erschüttern und Zerschmettern, Donner und Feuer – und um das Gotteslob, das von solch gewaltigen Ereignissen der Natur angefacht und nicht zum Verstummen gebracht wird.
Die Psalmworte begegnen uns in der Donnerode nicht im Wortlaut der Lutherbibel, was ja bei einem protestantischen Komponisten durchaus zu erwarten wäre. Schon das Wort „Ode“ verweist auf eine gereimte Fassung, einem Psalmlied ähnlich, aber doch stärker individualisiert. Textliche Quelle ist die „Poetische Übersetzung der Psalmen“ (Leipzig 1755) von Johann Andreas Cramer (1723–1788), der Schüler von Gellert war und in Kopenhagen und Kiel gewirkt hat. Seine damals populäre Bereimung der Psalmen wurde eigens für Telemanns Komposition zusätzlich bearbeitet, und zwar von dem Berliner Dichter Karl Wilhelm Ramler und dem Juristen und Musikschriftsteller Christian Gottfried Krause, der bei einer der ersten Aufführungen auch an der Pauke mitgewirkt hat. Allesamt sind diese Literaten einer Ästhetik des Erhabenen verpflichtet, die selbst im Schrecklichen die Größe Gottes erkennt, darüber ins Staunen gerät und „heilige Schauer“ erlebt, auch angesichts des „furchtbaren Schönen“....


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